"die flora", 24.04.2004

 

 

 

Die Presse schreibt...

 

"Ewige Suche nach einer Heimat

Die Geschichte hat das Datum (fast) verdängt: Am 12. August 1952 ließ Genosse Stalin die wichtigsten jiddischen Literaten in der Sowjetunion erschießen. Innerhalb des Festivals "Klezmerwelten" wurde zum einen an dieses Auslöschen erinnert; zum anderen wurden bewegende Texte von Markish, Hofstein, Fefer u.a. wiederbelebt.

Das geschah im revueartigen Multimedia-Mix aus Film, Gesang, Konzert, Rezitation und Pantomime. Es gab bei dieser ausverkauften Veranstaltung in der "flora" ein Wiedersehen mit dem vor Jahren in Gelsenkirchen lebenden ukrainischen Künstler Arnold Sarajinski. [...] Dieses melancholische Wiedererblühen "Royte Blitn" (Rote Blüten) hatte er zusammen mit dem Ensemble "Karahod" entwickelt.

Der jüdische Weltbürger als Ahasver, als Heimatloser, als ewiger Flüchtling, als ein "Nirgendwo": "Mein Name ist Jetzt," heißt es in einem der Texte, die Dorothea Greve so wahrhaftig wie innerlich beteiligt sprach und sang. Sie und Pantomime Sarajinski bestimmten den ungewöhnlichen Rhythmus dieser Collage mit alten Dokumenten und junger Interpretation. Sie hinterließ einen starken Eindruck - und zeigte Wurzeln der Klezmermusik auf. Musik des Alltags, die in neue Visionen des Friedens vorstieß - Musik mitmenschlicher Gefühle, die das Tor zur Idee der Humanitas weltweit öffnet.

Sarajinski, ein Reisender. Er kommt mit einem Koffer auf die kleine Bühne. Er spielt Situationen von der Neugier und der Begrenzung, von der Hoffnung und dem Tod, von den Generationen und von dem Immer-Unterwegs-Sein des Künstlers: intime Miniaturen über die Diktatur, über die der Mensch in seinen Gedanken dennoch siegen kann. Sarajinski ist der Einsame und Fliehende, der Wartende und der Vermittler. Die Klezmermusik bekommt durch ihn eine neue Bedeutungsebene.

Das ganze große Leid einer Intelligentsia- und Literatur-Generation wurde beispielhaft ausgeschüttet. Die roten Blüten fielen zum Schluss aus einem Buch - ein Bild für das Überleben. Eine Kerze wurde auf die Bühne getragen... "

[Hans-Jörg Loskill in WAZ (Gelsenkirchen), Montag, 25. April 2004]

 

"Eine Erinnerung an vergessene Literaten

ROTE BLÜTEN: Ensemble Karahod beleuchtet Schicksal jiddischer Schriftsteller

Vergessen sind sie vielfach, die jüdischen Literaten aus der ehemaligen Sowjetunion zu Zeiten Stalins. Namen wie Dovid Bergelsons oder Leib Kvitko. Nicht aber für das Hamburger "Ensemble Karahod", das seine literartisch-musikalisch-filmische Revue "Royte Blitn - Rote Blüten" eben diesen sowjet-jiddischen Schriftstellern in der "flora" widmete.

[...] Die Texte dieser Literaten füllte das "Ensemble Karahod" [...] mit viel Leben. Videocollagen aus alten Dokumentar- und Spielfilmen der Stalinära vermittelten den zahlreichen Besuchern in der "flora" eine Gefühl für die damalige Zeit.

[...] Die dazugehörigen, volkstümlichen Lieder, vom deutsch-ukrainisch-sibirischen Trio Petra Ritschel (Klarinette), Stani Rayko (Geige) und Stanislav Dinerman (Akkordeon) gespielt, untermalten anschaulich die Gedanken von Hoffnungen, Freude, Entscheidungen und Enttäuschungen.

Auch der mittlerweile ebenfalls in Hamburg beheimatete Arnold Sarajinski, der sieben Jahre in Gelsenkirchen lebte und wirkte, schuf mit seiner expressiven, von Zerrissenheit und Zweifeln durchsetzten Pantomime gelungene Bezüge zu den Texten.

Unterhaltsam war dieser Rückblick auf die jüdische Kultur und insbesondere auf die "roten Blüten" der 20-er Jahre und später in der Ex-UdSSR. Die Legierung aus Texten, Tönen, Bildern und Bewegungen des "Ensemble Karahod" aber beleuchtete auch mit dem nötigen Ernst dieses schwarze Kapitel der jüdischen Geschichte."

[Christoph Giese in Buersche Zeitung/Ruhr Nachrichten (Buer und Gelsenkirchen), Montag, 26. April 2004]
 

 


 

Aus der Ankündigung:

 

ensemble karahod und Arnold Sarajinski, Pantomime

Eine anspruchsvolle "literarisch-musikalisch-filmische Revue" über das Schicksal der jiddischen Kultur in der Sowjetunion.

Was sich bei "Royte Blitn" auf der Bühne abspielt, lässt sich schwer in Worte fassen. Das sorgfältig gestrickte Gewebe aus unterschiedlichen Genres ist vielleicht am ehesten als 'Revue' zu bezeichnen, die auf unterhaltsame Weise informativ, jedoch keinesfalls gefällig ist. Es geht um das Schicksal der jiddischen Kultur, insbesondere der jiddischen Literatur unter Stalin, wobei die Aufbruchsstimmung der 20er Jahre in der Sowjetunion eindeutig im Mittelpunkt steht.

Videocollagen aus alten Dokumentar- und Spielfilmen der Stalinära führen in die Rezitationen von Gedichten unterlegt mit Klezmermusik ein. Es handelt sich um hierzulande größtenteils unbekannte Lieder und Texte der später ermordeten Schriftsteller. Die Lieder wurden von namhaften zeitgenössischen Komponisten vertont, hatten volkstümlichen Charakter und waren zum Teil sehr populär in ihrer Zeit. Für die Juden erfüllten sie u. a. identitätsbildende und sinnstiftende Funktion in einer Periode des politischen, sozialen und kulturellen Umbruchs. Sie wurden aber auch ins Russische übersetzt und wirkten über den jüdischen Kulturkreis hinaus.


Die Pantomime von Arnold Sarajinski nimmt die poetisch und/oder musikalisch angesprochenen Themen auf, vertieft sie, variiert sie, hebt sie auf eine andere Darstellungsebene.

Das Programm wurde 2002 beim Internationalen Jiddischfestival in Straßbourg mit großem Er-folg aufgeführt und war letztes Jahr in der "Kampnagel Music Hall" in Hamburg zu sehen.

Die Künstler/innen haben zum Teil ihre Wurzeln in der Ukraine und in Russland. Mit der Klezmermusik sind sie seit vielen Jahren eng verbunden.

Die Künstler/innen haben zum Teil ihre Wurzeln in der Ukraine und in Russland. Der musikalische Leiter ist der junge Geiger Stani Rayko aus Charkov/Ukraine, der heute in Pinneberg lebt. Er ist Absolvent des Charkover Konservatoriums, Gründer der "Kharkov Klezmer Band", die im Juli 2001 auf dem ersten Internationalen Klezfest in London brillierte und ist seitdem einer der gefragtesten Klezmergeiger und -tänzer weltweit. Im Juli 2003 leitete er die Sektion ‚Geige' auf dem renommierten Petersburger Klezfest. Der Akkordeonist Stanislav Dinerman stammt aus einer jüdischen Familie im sibirischen Omsk, wo er sein Musikstudium begann und in einer Jazzformation spielte. Durch die Zusammenarbeit mit Stani Rayko kam er mit der Klezmermusik in Berührung und hat sich binnen kurzem zu einem virtuosen Klezmer-Akkordeonisten entwickelt, der in verschiedenen Hamburger Klezmerensembles mitwirkt. Die Klarinettistin Petra Ritschel ist schon seit mehr als einem Jahrzehnt mit der Klezmermusik verbunden. Sie ist Absolventin der Hamburger Musikhochschule, wo sie u. a. auch Kulturmanagement studierte. Neben ihrer Tätigkeit als Dozentin für Klarinette an der Staatlichen Jugendmusikschule ist sie eine gefragte Klezmer-Klarinettistin, die selbst mehrere Ensembles gegründet hat. Sängerin und Rezitatorin im Ensemble Karahod ist Dorothea Greve, die auch beim Klezmerensemble "Frejlechs" mitwirkt. Sie lehrt seit vielen Jahren Jiddisch an der Universität Hamburg und gibt an ausländischen Universitäten Intensivkurse in Jiddisch. Die Mitbegründerin der "Salomo-Birnbaum-Gesellschaft für Jiddisch in Hamburg e. V." hat bei zahlreichen jiddischen/jüdischen Theaterprojekten mitgewirkt und übersetzt jiddische Literatur ins Deutsche. Der Pantomime Arnold Sarajinski aus Odessa/Ukraine gebürtig, lebt seit 1993 in Deutschland und hatte über mehrere Jahre seine künstlerische Wirkungsstätte u. a. in Gelsenkirchen. Seit 2000 lebt er in Hamburg, wo er neben verschiedenen Theaterprojekten als Pädagoge für Pantomime an der Staatlichen Musikschule Hamburg tätig ist.

Copyright der Fotos bei Christoph Giese.

 



 

 

 

 

 

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